| 
          von martin010
          am 21.Nov.2002 20:29 ...
 
 Hallo js,
 
 der Faschismus-Begriff ist mitnichten ein streng wissenschaftlicher
          Begriff, von dem sofort klar wäre, wann sein Gebrauch
          'unwissenschaftlich' zu nennen ist (wie es dein Posting suggeriert).
 
 Die Geschichte der Faschismus-Forschung ist lang und äußerst vielfältig,
          die Zahl der Faschismus-Deutungen ist groß; trotzdem gibt es bis dato
          schlechterdings keine allgemeinverbindliche, allgemein anerkannte
          Faschismus-Theorie. Die Erklärungsreichweite des Begriffs und seine
          sinnvolle Konzeptionierung bleiben umstritten; von einem "eher
          eng gefassten" Begriff zu sprechen ist abwegig.
 
 Mittlerweile verwendet kaum noch ein Historiker den Faschismus-Begriff
          mit idealtypisierendem Erklärungsanspruch für alle Rechtsdiktaturen.
          Diese Deutungsangebote sind längst von der Totalitarismustheorie, die
          sich ja wieder im Aufwind befindet, überlagert worden.
 Trotzdem bleibt der Faschismus-Begriff ein Schlüsselbegriff fürs
          20.Jh., aber eben doch eher auf einer historisch-empirischen (und
          nicht ideologiegeschichtlichen) Ebene: der Italienische Faschismus und
          sein historischer Vorbildcharakter geraten dann in den Fokus möglicher
          Faschismus-Theorien. Gemeinsamer Nenner der Faschismus-Forschung wird
          also nur die Untersuchung von konkreten historischen
          Erscheinungsformen und Attributen sein können; alle
          tiefergestaffelten Erklärungsbemühungen sind hochgradig umstrittene
          Interpretationen.
 
 'Menschenverachtung' wird man aber durchaus als Merkmal des
          italienischen Faschismus nennen können: die Art und Weise der ästhetisierenden
          Verherrlichung und Ausübung von Gewalt, Macht und Herrschaft, die
          militaristische Selbstinszenierung und brutale Gewalt, die vor allem
          in den 'Bewegungsjahren' von den Squadre d'azione ausging (hier deutet
          sich auch die Notwendigkeit einer weiteren Binnendifferenzierung des
          Phänomens "Ital. Faschismus" an) und nicht zuletzt die
          Minderheitenunterdrückung gegen Slawen und Afrikaner, die durchaus
          rassistische Züge (wenn auch nicht rassistisch-antisemitische)
          getragen hat, lassen es gerechtfertigt erscheinen, von
          'Menschenverachtung' zu sprechen. Diese Zuschreibung ist viel mehr als
          eine bloß "subjektive Einschätzung".
 
 Lange Rede, kurzer Sinn: man kann möglicherweise den Begriff
          'faschistoid' aus diversen Gründen ablehnen, aber eben nicht mit
          Hinweis auf seinen angeblich exakten Bedeutungsgehalt.
 
 Mfg
 m010
 |