Hallo Dietrich, 
           
          Du sprichst von "Fast-Food-und-CocaCola-Kultur als Unkultur"
          und machst es daran fest, dass diese Kultur Warencharakter habe und
          Profitinteressen folge, kulturelle Vielfalt vernichte. 
           
          Ich habe Vorstellungen von all diesen Begriffen, aber ich sehe sie
          nicht solchem desaströsen Wirkungszusammenhang. 
           
          Gewohnt bin ich zum Beispiel daran, dass Kultur häufig Warencharakter
          hat, weshalb sie mir nicht sogleich "Unkultur" wäre.
          Kulturschaffenden geht es damit nicht anders, wenn ihre Leistungen sie
          nicht ernähren. 
             
          Da ich ein sparsamer Mensch bin, greife ich mir aus dem allgemeinen
          Kulturbetrieb zumeist die günstigeren oder kostenlosen Angebote
          heraus oder "mach' es mir selbst", also Selfmade-Culture,
          die letztlich nur deshalb kostenlos ist, weil niemand dafür zahlen würde.  
            
          Die daraus klaffende Lücke zwischen "weil ich's mir wert
          bin" und "Verdienst" habe ich deshalb mit "weil es
          mir wert ist" zu füllen, aber wehe den Usern, wenn ich erst 'mal
          groß bin:-) 
              
          Kultur mag harmloser anmuten, solange sie ohne Warencharakter im
          Privaten ihr Dasein fristet oder im Politischen zu wenige wirklich
          interessiert. Aber schon da fallen mir genügend Gegenbeispiele ein,
          um die Harmlosigkeit zu widerlegen.  
           
          Kultur nimmt Warencharakter an, sobald an ihr Mangel herrscht oder
          hergestellt ist, Kaufkraft existiert, wogegen nur helfen würde, die
          Kulturwaren entweder zu verbieten oder Kultur besser und kostenlos
          anzubieten. Solche Versuche gab und gibt es, z.B. Prostitution - und
          trotzdem gab es sie nicht nur in Pompeji, sondern im strukturellen
          Format als Bestandteil jeder Gesellschaft. 
           
          Cola ist günstiger als Bier (stimmt's?) und zwar ist auch eine Überdosis
          Cola ungesund, aber Bier scheint eher um den Verstand zu bringen als
          Cola. Verstandverlust ist für den Menschen gefährlicher. Ergo Cola
          vergleichsweise sana. 
           
          Gibt es Unkultur? 
          Ich denke, die gibt es. Und zwar möchte ich als Unkultur bezeichnen,
          was Kultur vernichtet, die es wert wäre, dass man sie bewahrt und
          entwickelt: 
           
          Das "Deutsche Reinheitsgebot"? Weiß ich nicht, aber Gerste,
          Hopfen, Wasser und Hefe klingt sympathischer als mit chemischen Zusätzen,
          wären da nicht die Schäden an Hirn, Leber und Figur. 
           
          Oder "Goethe", den Inbegriff deutschen Kulturschaffens? Aber
          Goethe wird heute mehr denn je gelesen, was nicht nur daran liegt,
          dass es mehr Menschen gibt, sondern am sich global entwickelnden
          Bildungswesen. 
           
          Und wenn einer Goethe nicht liest, liegt es dann an der Sesamstraße?
          Ich denke, dass es andere Gründe hat. Auch ich durfte keine
          "Bilderheftchen lesen", wollte das auch nicht, aber erst
          recht nicht Goethe, sondern trieb mich in anderen mir interessanten
          Dingen rum. Goethe ist vielen zuhause oder in der Schule eher ein
          "Zwangs-Goethe", also fast schon "Unkultur" im
          oben definierten Sinne, was wir heute durch eine Büste im
          Redaktionsraum wettzumachen versuchen. Das Ding war weiß und staubt
          schnell ein - niemand möchte bei uns Putzmensch sein. Sind wir für
          "Unkultur"? Dann offenbar. Und nein, denn Goethe zwar Teil
          der Kultur, aber Kultur ist auch ohne ihn Kultur. 
           
          Worum geht es dann mit der "Unkultur"? Allein dass
          aufgezwungene Kultur zuwider ist. Das kann dann also auch Goethe sein,
          das Bier, die Cola. 
           
          Gibt es Kultur-Imperialismus? 
          Ich denke, den gibt es. Und die Antwort ist schon zur Unkultur
          gegeben: Wenn eine Macht ihre Kultur jemandem anderes überstülpt. Früher
          durch Eroberungskriege mit schrecklichsten Folgen. Die Mayas, die
          Inkas, das alte China erlagen weitgehender Kulturausrottung mit
          Waffengewalt. In Afrika nicht anders, worüber nur weniger bekannt
          ist. 
           
          Und heute? Noch immer ist die entscheidende Größe westlicher Kultur
          und Weltpolitik die militärische Gewalt, mit der sie sich über jeden
          kulturellen oder sonstigen Einwand hinwegsetzt. Und wenn ich da
          pauschalisierend von "westlicher Welt" rede, dann meine ich
          tatsächlich auch so, weil sich die Haltung zum Irak-Krieg nur an
          wenigen Prozenten entschied, wie man an Merkel und Schäuble sehen
          konnte, also eher zufällig war als in einem tiefgreifenden
          Widerspruch zwischen kulturellen Systemen. 
           
          Und ist mir ein Kultur-Imperialismus auch unterhalb der Schwelle von
          militärischer Gewalt und Drohung vorstellbar? Auch das, aber da
          verschwimmen mir die Kriterien zu sehr, um ihnen sachlich zu begegnen. 
           
          Nur einige will ich nennen: 
          1. die Korrumpierung der Rohstoff-Staaten, wodurch die Rohstoffe für
          die industrialisierten Staaten preisgünstig bleiben, 
          2. die Monopolisierung mit den sich daraus ergebenden Missbrauchsmöglichkeiten, 
          3. die Patentierung von Wissen und Leistungen, dessen Sinn nicht die
          Verrechtlichung, sondern die Entrechtung ist,  
          4. die durch Subventionierung ganzer Industrien eingefrorene
          Ungleichheit auf den internationalen Märkten, die dadurch zu
          Einbahnstraßen des Wohlstandes und der Verelendung werden, also dem
          früheren Zollwesen um nichts an Protektionismus nachstehen, sondern
          im Gegenteil die Entwicklungsländer auch noch in der Eigenversorgung
          angreifen, 
          5. die Plünderung des Planeten. 
           
          Aber all dies sieht Europa nicht im Widerspruch zu den USA, sondern
          begreift Europa eher im Windschatten der westlichen Supermacht, die
          sich nicht zuletzt deshalb mehr "Mitverantwortung Europas" wünscht,
          worunter sie einzig versteht, dass ihr Imperialismus von denen unterstützt
          werden soll, die daran ihren Vorteil wollen. 
           
          Die "Kultur des alten Europas" bestreite ich nicht, wohl
          aber den vielerseits behaupteten Gegensatz zur "Kultur des neuen
          Amerikas". 
           
          Aber die Kultur schwebt nicht über den Dingen, so abgehoben diverse
          Kunst manch HSV-Fan auch scheinen mag, solch Kunstunverstand gibt es
          wie auch die "Unkultur" nicht erst seit letzter Woche,
          sondern zieht sich durch alle Epochen. 
           
          Kultur schwebt nicht über den Verhältnissen, 
          sondern ist als Kultur und Kulturbetrieb im engeren Sinne Bestandteil
          der wirtschaftlichen und politischen Realitäten, mit der fatalen
          Wirkung, dass in Gegenden, die wirtschaftlich verelenden, schließlich
          nur noch der Fernseher bleibt. - Bier und Fastfood gehen zuletzt.  
           
          Was als "Unkultur" von anspruchsvolleren Kreisen bezeichnet
          wird, ist meist nicht etwa das, was das andere böse verdrängt hätte,
          sondern sich so weit entwickelt hat oder ablenkend ist, dass es sich
          noch unter den widrigsten Umständen behauptet. 
           
          Die "Kultur Europas und Amerikas" bestreite ich nicht, aber
          schon mein Text verfehlt sein Ziel, KEIN unfaires Feindbild
          ("gegen die westliche Welt") zu zeichnen. 
           
          Und ich tue mich schwer, konkret genug Alternativen erahnbar zu
          machen, denn die Sorge ist, dass die positiven Kulturmerkmale der
          westlichen Welt nur noch zur Rechtfertigung für das Verhängnis
          taugen, zu dem die "Freie Welt" durch ihr noch immer
          "letztes Mittel" = Krieg der Drittwelt, Umwelt und
          Menschheit als Ganzes zu werden droht, eben "Imperialist". 
           
          Und was könnte die Alternative sein? Vor allem die Gier und
          Verschwendung müssen gezügelt werden. Und das heißt das Gegenteil
          von dem, worauf die Parteien in Summe ihrer Wahlkampfversprechen die
          Menschen ködern, das bedeutet also: teurere Lebensmittel, weniger Müll,
          weniger Tourismus, ... - und das alles, ohne dass die Systeme als
          Ganzes kollabieren, denn das würde jede Entwicklung sofort wieder
          umkehren. Die Alternative wäre gegenfinanziert aus der
          Friedensdividende duch Abrüstung. 
           
          Und wer sich angesichts solcher Alternativen vor Staaten zu fürchten
          beginnt, die nicht von ihrer Wachstumsideologie zu solchen des
          Haushaltens übergehen, der muss eben darauf hinwirken, dass das
          Gewaltmonopol von den vielen hundert Staaten und Regimes auf einen
          Weltstaat vereinigt wird, für den es Demokratie und Recht zu
          erarbeiten gilt. 
           
          Im Streit um den Irak-Krieg fanden sich viele Töne, die mir wie Musik
          waren, wenn es hieß, dass niemand mehr Kriegsrecht habe gegen den
          Willen der Vereinten Nationen, 
          aber ich behaupte, dass es überwiegend taktische Motive waren, Angst
          vor Übertreibungen der Supermacht und vor Überreaktionen weltweit,
          die schlechter kontrollierbar werden könnten. Der qualitative andere
          Zwischenton, die andere KULTUR, das Recht als Gleiches für alle - da
          waren alle gleichermaßen weit von entfernt, auf die es in der Frage
          von Krieg und Frieden ankam. 
           
          Solche "Zwischentöne" kamen auch nicht von Sozialisten und
          Gewerkschaften, die ebenfalls immer nur "mehr" fordern für
          ihre Klientel in den Müllproduktionsstätten des 21.Jahrhunderts,
          auch wenn sie in Zeiten ihrer Macht den "Verzicht"
          propagieren, aber ohne sich von ihrer Wachstumsideologie zu
          verabschieden. 
           
          Und was die Sache noch schwieriger macht: ich klage gar nicht das
          Wachstum an, sondern die Verschwendung als Triebkraft des Wachstums. 
           
          Kultur. Das ist die schöne Armbanduhr. Die Musik, die Lyrik inklusive
          Dieter Bohlen. Aber nicht alle Herrlichkeit für jeden. Die Pyramiden
          am Nil taugen nicht für den Wochenendausflug, der Tibet nicht für
          alle, die ihre "eigenen Grenzen erfahren" zu dürfen glauben
          und Thailand nicht für alle, denen die Schlepperbanden die Liebe in
          Deutschland zu teuer machen. 
           
          "Der Deutsche" hat kein "Recht auf Bali", solange
          dieses Recht darauf beruht, dass "der Afrikaner" kein Geld für
          das Oktoberfest hat. 
           
          Was also ist Kultur, die uns Futter und Rechte so ungleich verteilt?
          Das Feindbild USA taugt da zu nichts, denn Deutschland wäre nicht
          soeben erneut "Exportweltmeister" geworden, wenn es durch
          amerikanisches Fastfood zugrunde ginge: 
           
          In dieser Woche lief der erste BMW in China vom Band. Ein
          "325i". Wir kennen den Verbrauch. Wir kennen die Zahl der
          Chinesen. Vorerst sollen in China pro Jahr 30.000 BMW vom Band laufen
          und die dortigen sozialen Unterschiede auf den Straßen unterstreichen
          helfen. BMW möchte sicherlich bald mehr in und für China bauen. Und
          wohl auch andere Automobilkonzerne. China erwartet ein
          Wirtschaftswachstum von 10 Prozent, was weniger ist als es scheint,
          denn 10 Prozent von "im Vergleich zu Europa" ist fast nichts
          von fast nichts. Und trotzdem ist es eine Geschwindigkeit, mit der
          1,27 Mrd. Menschen in den Ressourcenverbrauch der westlichen Welt
          einsteigen. BMW ist dabei relevanter als Coca Cola. Kultur auf vier Rädern.
          Aus Germoney. Die Amis werden Mühe haben, da mitzuhalten, wenn sie zu
          viele Kriege führen. - Aber beides ist irrational. 
           
          Ein zumindest vorläufiger Unterschied der Irrationalität zum
          Menschen liegt darin, dass sie sich vermehrt, wenn man sie zwei- oder
          vierteilt. 
           
          Darum sehe ich mich "in einem Boot mit unseren transatlantischen
          Freunden" - und überlege, wie man die Geschütztürme von Bord
          bekommt, um Platz für jene zu schaffen, die sich im Wasser am
          schwimmenden Müll unseres Bootes festzuhalten versuchen und
          massenweise ertrinken. 
           
          Grüße von Sven 
          redaktion
          Diskussion 
         
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