Film: Die Passion Christi

Ein Streit des Menschen in Bildern und Untertiteln. - Nun war ich doch drin. Ohne Frau, ohne Kind, aber weil ich keinen Sinn habe, anhaltenden Gerüchten zu trauen. Und auch nicht bloß meinen Gefühlen, weshalb ich hinterher andere fragte.


 
Jetzt kaum sortiert einzelne Aspekte: 

1. Mel Gibsons Vater kommt im Film nicht vor. 

Man soll zwar fragen: "Wer sagt was wie und warum?", aber wenn davon alles weitere abhinge, dann würde nie Frieden zwischen irgendwem.

Mit dem Film ist es wie mit jeder Handlung in der Politik: der Kontext ist wichtig, aber nicht alles, sondern auch das Einzelne zählt. 

Deshalb kommt nun nach allem, was über Mel Gibsons Vater geschrieben wurde, in meiner weiteren Filmkritik Mel Gibsons Vater so wenig vor wie im Film oder aber andersherum und Mel Gibsons Vater wäre der Film, dann aber wächst dieser Mann mit dem Film, wie umgekehrt er verliert, wenn der Film verliert. 
Dessen müssen sich alle vorab bewusst sein, die Personen mit den Werken identifizieren, was so falsch nicht ist, aber selten in genügender Konsequenz verstanden.

2. Ist der Film antisemitisch ?

Der wichtigste Vorbehalt gegen den Film kann nur sein, ob er den Hass auf die Juden fördere oder riskiere. Und ist dieser Verdacht begründet, so käme der Film zurecht in die Kontroverse und erstrecht in Deutschland. 
Aber solch Vorwurf ist mir nun gänzlich unhaltbar und wirft auf jene eine schlechtes Licht, die das Gerücht in die Welt brachten, aber es wirft auch fahles Licht auf jeden (von uns), wenn solchen Gerüchten so schnell aufgesessen wird, denn zum einen entstehen Gerüchte auch deshalb, weil es dafür empfängliches Publikum gibt und zudem wird die Welt nicht davon besser, wenn man überall die Teufel werkeln sieht, auch wenn da keine sind: 

Rein gar nichts geht in dem Film "gegen die Juden", sondern es wird mit viel Blut die Geschichte des Jesus erzählt, ob man sie heute für wahr hält oder nicht - darin war man sich nach dieser Geschichte auch vor 2000 Jahren im Streit, d.h. also es waren nicht "die Juden", sondern welche aus unterschiedlichsten Gründen für die Passion wie auch aus unterschiedlichsten Gründen dagegen. 

An differenzierterer Darstellung eines Volkes und der Motive ist mir keine andere Verfilmung antiken Stoffs oder Mythos bekannt. 

Sinnvoll wich der Film von der Vorlage ab, was ihm weniger anzulasten ist, sondern ihn realitätsnäher macht: 

- die Priesterschaft im vielfachen Zwiespalt, individuell verschieden besorgt, 
- sich darin entwickelnd zum Guten, zum Schlechten, 
- besorgt um die Religion gegen die Gottesanmaßung, die in Jesu Verhalten Gegenstand hatte oder nur Missverstand war, 
- besorgt um die eigene Macht, sich darin widerstreitend mit der römischen Statthalterschaft und doch auch interessenverbindend, 
- das jüdische Volk im Großteil abwesend dem eigenen Leben nachgehend, 
- während es auch die Extremisten und Schaulustigen gibt, 
- die Skeptiker und alle im Wandel durch die Ereignisse.

Ein Wandel, der mit Bekehrung falsch beschrieben wäre, sondern viel häufiger Zweifel und oft auch die Hingerissenheit in die Logik, dass einer, der sich so sehr auf die Vollmacht Gottes berufe, nun so ohnmächtig in die Passion geht, was ihn vielen als Scharlatan gewiss macht, wie auch 1700 Jahre später in Hexenprozessen an Logik noch längst nicht überwunden ist. 

Und die vermeintliche Gotteslästerung als Grund für das Todesurteil? 

Daraus sind so viele religiöse Geschichten, oft gleich ganze Stämme und Völker vernichtend, aber auch bis in die Neuzeit, wenn im Iran religiöse Machthaber die Tötung eines Menschen wegen "Satanischer Verse" verlangen wie auch leichter erkennbar satanische Verse eines Jassin ausreichen, um ihn als Anstifter ins Jenseits zu schaffen. 

Wessen Jenseits auch immer es sei - eines der Juden, der Christen oder Muslime.

Und die Lästerung Gottes ist nicht zwingend das bescheidenere Übel als Jassins Tötungswünsche gegen Menschen, denn je nach religiösem Standpunkt steht das Erste Gebot vor dem Fünften - und nicht der Vergleich ist Frevel, sondern Anspruch der Religiösen, ihr Handeln nicht vergleichen zu lassen. Ob in Teheran, in Gaza oder Jerusalem, so oft die eigenen Worte nicht reichen, die Worte des Feindes zu bändigen, so mag Gewalt legitim sein, aber sie kommt um den Streit der Prüfung nicht herum. 

Eingangs dieser Diskussion fragte Cinccione: "Glaubt jemand die Darstellung der Juden in diesem Film?" Nun kann ich antworten: Die Juden dieses Films werden so dargestellt wie aller Herren Völker tatsächlich sind und davon keine Juden verschieden, nämlich fähig zu allem im Guten wie im Schlechten intern und extern konkurrierend und mit Konjunkturen. 
Wer sich anderes von Juden verspricht als von Römern, Christen, Muslimen, ist entweder Antisemit oder auf sonstige Weise ein Narr, wie es sie in allen Gemeinschaften nicht wenige gibt.

Durch die Abweichung von der Vorlage gelingt im Gegenteil ein differenzierteres Juden-Bild, als es mit dem Neuen Testament schon vorhanden war. Also eher antisemitische Risiken abbauend, also das Gegenteil zur Vorverurteilung auch in diesem Forum. 

3. Und Jesus selbst? Wie schneidet er ab? 

Dass er mit seiner Gnaden-Botschaft die Aversion gegen sich steigert, erleben auch wir schon mit weit weniger Gnadengebot in unseren Dialog-Projekten, dass der Appell zur Gnade auch missverstanden wird als höchste Form von Überheblichkeit. 

So gelang Jesus seine Botschaft nicht, wenn er die Feindesliebe hochpreiste, die manch einem so widerlich ist, dass sie nicht selten das Gegenteil bewirkt, dass Hass gegen die Liebe aufsteigt, obwohl der Hass das Blut an die Hände bringt und nie jedenfalls Gnade oder Liebe, es sei denn, man redet nur davon und tut anderes, was von Jesus jedoch nicht berichtet ist, weder als Mythos noch dem Glauben.

Und folgerichtig wirft Jesus seine Passion auch niemandem vor, sondern macht in Rückblenden deutlich, dass sie ihm freiwillig und notwendig sei, um den Bund zu erneuern und am Kreuz schließlich erbittet er um Vergebung, weil seine Peiniger nicht wüssten, was sie tun, was immanent nur logisch ist, denn wenn Christi Passion messianisch ist, dann hätten ihn in solcher Kenntnis wohl einige nicht gekreuzigt. 

All dieser Jesus kann bis hierhin als jemand gelten, wie er im Film dargestellt auch dem Herodes als Verrückter gilt. 
Ein Verrückter, der im Glauben Gutes zu tun etwas auf sich nimmt, wenn auch anmaßend in seinen Ansichten über sich selbst, was aber immer nur denen so scheint, die in ihm den bekennenden Menschen übersehen: an sich selbst zweifelnd wie auch an Gott, was sich nur Scheinheilige nicht eingestehen; und Jesus, der sich immer und wieder in den Glauben rettet, was ebenfalls menschenverbreitet ist und keine Ausnahme davon für denjenigen, der auch nur ein bisschen einen religiösen Menschen kennt. 

Aber schon klar, darauf kann man das Jesus-Bild auch dieses Films nicht reduzieren, denn da kommt reichlich Satan vor und es geschehen Wunder, z.B. das abgeschlagene Ohr, wie es Jesus zurück an den Kopf des Soldaten bringt und nach strafendem Erdbeben und drittem Tag ersteht er von den Toten, was ihn dann doch schon deutlich von normalen Menschen unterscheidet. Aber so selten solches dem Menschen beschieden ist, so gewöhnlich sind die Wunder für alle Religion, weshalb keine einzige sich leisten kann, deswegen andere zu lästern.

4. Authentizität von Film, Vorlage und Geschichte

Auch wurde kritisiert, dass die Römer zu gut abschneiden, obwohl sie doch grausige Unterdrückung brachten. Tatsächlich ist aber aus der rein historischen Sicht schon die Vorlage nicht in Ort und Zeit entstanden, sondern viel später und unter Berücksichtigung schon ganz anderer nationaler Interessen. 
Doch die Historiker sind in solch nachforschender Weise weder von Juden noch Christen wirklich gefragt und darum sollten sich die Religionen gegenseitig lassen, was sie jeweils für sich verlangen. 

Und wie oben schon an einem Beispiel beschrieben, weicht der Film auch von der Vorlage ab, wenn er Menschen abseits vom Geschehen zeigt, aber Vorlage ist Vorlage und der Film kein Dokumentarfilm, sondern etwas, wie es sich seine Macher selbst vorstellen. Und sie vermochten damit zu überzeugen - zum Vorteil gegen das falsche Bild der den Jesus mordenden Juden.

Gleiches gilt auch für die Qualen, die sich "so minutiös" zwar nicht in der Vorlage finden, aber immerhin "um viele Stunden" kürzer gezeigt werden als sie nach der Vorlage waren und sind so um vieles plausibler, als man sich aus Krimis und Religionsverfilmungen gefallen lässt, wie beispielsweise "Sodom und Gomorrha", den das Feiertagsfernsehen zu Ostern brachte, als hätte das irgendwie mit Ostern zu tun oder könnte in der Belanglosigkeit seiner den Sodomiten und Wüstenstämmen unterstellten Schlechtmenschlichkeit öffentliche Kontroversen entfachen.

Die Qualen also zumindest zeitlich verkürzt, aber doch auch "sehr amerikanisch", denn unvorstellbar wäre für europäische Filmproduktion, derart das Blut spritzen zu lassen. 
Da sind Mel Gibson wie auch Steven Spielberg den Europäern "voraus", aber gekonnt von beiden, dass die Qualen im Unterschied zu Actionfilmen nicht der Unterhaltung und Spannungssteigerung dienen, sondern dem Mitleid und Abstand im richtigen Verhältnis, also keine Gewalt als "Lösung" oder "Versöhnung" des Publikums mit dem Ausgang von Filmen, wenn der Bösewicht nun endlich selbst gerichtet wird, umso brutaler, wie er durch seine Missetaten das Publikum genügend gegen sich aufbrachte.

Trotzdem sind auch mir die Gewaltdarstellungen von Mel Gibson und Spielberg ein Ding, vor dem ich all jene hüten möchte, die strikt genug gegen Gewalt sind. 
Aber jeder, der auch nur irgendeinen Fall zum Anlass nimmt und denkt: "Tötet den!", 
der sollte hinein in den Film, wie auch jeder etwas lernen kann, wenn er Krieg für "notwendig" hält, dann Spielbergs "Der Soldat James Ryan" ertragen sollte. - Damit man wenigstens erahnt, was man fordert.

Mir wäre der Passionsfilm lieber kürzer gewesen, mir persönlich auch lieber ohne die Wunder, während die Philosophie immer lohnt - und eben mit weniger Blut, denn das war nur schwer zu ertragen, wobei etwas half, wenn man sich sagte: "Es ist nur ein Film und die Hand, die der Nagel durchschlägt, ist aus Kunststoff." - Vielleicht schont solch Vergewisserung jene, wenn sie in solche Filme gehen.

Das Publikum blieb sitzen am Ende des Films. Das erlebte ich so noch nie außer mit Bestellpublikum. Ich war der erste, der ging. Und draußen im Ausgang fragte ich dann die Leute nach ihrer Benotung für den Film "zwischen 1 und 6". Wenn es mit der Antwort zu schwer fiel, weil der Film vielen noch zu wenig "vorbei" war, dann fragte ich nach "eher gut oder eher schlecht". Und schließlich, "ob die Gewalt der Spannungssteigerung diente". 

Die Leute fanden schwer zur Entscheidung, antworten häufig ganz anders, dass der Film "wichtig" sei und die Gewalt darin "Mahnung". Sehr gute Antworten in noch solch kurzer Zeit und unerwartete Auskunftsfreudigkeit, obwohl niemand nur "daherreden" wollte. Niemand verweigerte. Ich ließ sie auch rasch wieder los. 

Die Frage nach dem Antisemitismus stellte ich bewusst nicht . Aus zweierlei Gründen: a) weil ich zu gewiss war, wie nervig allen "normalen" Menschen und weniger politisch Engagierten solch Frage nach Sehen dieses Films erscheinen muss, dass überhaupt solch eine Debatte geführt wurde. Denn der Verdacht blamiert uns nur alle und provoziert aus vollständiger Dummheit das Gegenteil dessen, was die Debatte eigentlich wollte und sollte.

Und warum waren die Menschen so betroffen? Ich war es auch: Weil der Film andeutet, wie subtil Verhängnisse verlaufen, in denen die Menschlichkeit so gänzlich versagt. 
Man wird aus dem Kinosessel heraus zwar nicht verführt, in die Rolle der schlimmsten Peiniger zu schlüpfen, aber viele bekommen durch den Film erstmalig Verständnis für die institutionelle und fanatisch, religiös-intellektuelle Gnadenlosigkeit und den gottesfürchtigen Wahn vieler Gläubigen; Verständnis für den Verräter Judas obendrein, der sich in Gewissensnöten selbst erhängt.

Und wie so oft: "Verständnis" heißt nicht Zustimmung, aber viele erlitten es so wie dieser treue Petrus, der seinen Jesus verleugnet - eine schlimme Erfahrung ist diese Ahnung, dass man kaum anders wäre. 

Und viele sahen die Ohnmacht der Mutter, die ihren Sohn nicht zu retten vermag. Das singuläre Standard-Schicksal der Mutter, der das Kind Teil des eigenen Körpers bleibt auch hinein in den Tod.

5. Zum guten Abschneiden der Christen

Der Film zeigt die junge Christenheit in der Rolle von Opfern, ohne die sie vielleicht nicht entstanden wäre. Der Film handelt nicht davon, was daraus wurde durch eine die Religion verratende Mission, die anderen in "Kreuzkriegen", Bürgerkriegen, Kolonialismus und Judenverfolgung zur Passion wurde und bis in die heutige Zeit wird, indem fremde Glauben zerstört werden durch die Bibel im ideologischen Handgepäck von Hilfsorganisationen und Welthandel. 
Aber Missetat und Missbrauch des Christentums sind nicht Gegenstand dieses Films und die Reduktion auf die Passion Jesu ist legitim und jenen Christen verpflichtet, die es ebenfalls zu allen Zeiten gab und mit gleichen Idealen auch in anderer Religion und Ideologie - mit nur anderen Anknüpfungsmomenten. 



Results

Dieser Film "belohnt" den Zuschauer nicht. Der Film mahnt. Mit unvergänglicher und universeller Autorität zur Gnade und macht keinen Hass, auch nicht gegen die Schlimmsten. 

Das schafft den Bezug zur Gegenwart und darum wird die Vernunft einigen wieder nicht reichen - vielleicht noch fast für den Film, aber nicht für die praktische Politik, weil man den Hass gegen das Böse rekrutiert, obwohl Hass nur Unrecht macht, weshalb wir den Richter nicht hassen lassen, sondern feuern würden wegen Befangenheit. Aber solche Vernunft verliert sich vielen gerade dann, wenn der größte Bedarf an ihr ist.

Und es verbietet sich diesen vermeintlichen Realisten auch die Gnade als Tugend, weil sie die Gnade fortlaufend der Nachgiebigkeit verdächtigen und weil sie den Appell zur Liebe für eine Dummheit halten anstatt den einfachsten Sinn zu erfassen, dass die Interessen des anderen nicht minder von Bedeutung sind als die eigenen, wenn es denn friedlich klappen soll zwischen welchen.

Ich möchte ihn nie wieder sehen, denn das Leben wäre zu traurig, wenn man sich nicht fröhlichere Filme gönnte.

Meine Hochachtung aber vor Mel Gibson. Und wenn er Antisemit sein sollte, als den ihn einige sehen, dann gilt meine Hochachtung dem Werk eines Feindes. Auch dessen sollte man fähig sein oder man versagt einmal mehr "aus Prinzip".
 
Grüße von Sven

ps: "aus Prinzip" keinen Widerspruch zu ertragen  >> DISKUSSION

Bestellen bei Amazon.de  Die Passion Christi

andere Jesus-Filme

Spielfilmwoche   Dialog-Lexikon

Karfreitag