Pazifismus und Weltkriege

BeitragVerfasst von Sven am: 30.06.2005 14:14 Antworten mit Zitat 

Zitat:
Die Tatsache, dass der NS nur kriegerisch besiegt werden konnte, wird eine Wasserscheide für jeden Pazifismus bleiben.

Das stimmt nicht, denn 1. reduziert solche These den Pazifismus auf eine verteidigungslose Variante und 2. beruht der innere Frieden in den vernünftigeren Staaten auf Demokratie + allgemein verbindlichem Recht + Gewaltmonopol in systematischer Zuständigkeitsteilung und gegenseitiger Kontrolle.

Wer den weltweiten Friede will, der kann dort nicht auf die institutionalisierten Prinzipien verzichten, die sich innerstaatlich bewähren.

Und so verlangt es auch die UN-Charta, wenngleich mit Widersprüchen, die sich aus dem Veto-System des UN-Sicherheitsrates ergeben.

Dass die Forderungen der UN-Charta nicht umgesetzt sind, liegt einzig daran, dass sich die wichtigsten Staaten aus Sorge um ihre militärische Souveränität verweigern. Aber auch Staaten und Allianzen wie Deutschland und die EU sind für die Stagnation der Weltorganisation mitverantwortlich, weil sie an den Privilegien teilhaben wollen, anstatt für deren Abschaffung Politik zu machen.

Erst vor wenigen Tagen hieß es aus dem dt. Außenministerium, dass für den Fall der Aufnahme Deutschlands als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats "15 Jahre lang" keine Änderung am bestehenden Veto-System vorgesehen sein sollten. Das ist der Kuhhandel, der sich von dem des Völkerbundes NICHT unterscheidet. Und daran scheiterte der.

Der 2. Weltkrieg widerlegte nicht den Pazifismus, allenfalls den verteidigungslosen und auch das nur als "Friedensgarantie" << bitte zweimal lesen, denn die Implikationen sind wichtig.

Der 2. Weltkrieg wäre zu vermeiden gewesen, hätten sich nach dem 1. Weltkrieg die wichtigsten und immerhin demokratischen Staaten auf ein System verständigt, wie es für den Völkerbund vorgesehen war, aber an der Passivität der USA scheiterte, obwohl sie Initiatorin des Völkerbundes war.

Nach dem 1. Weltkrieg hatte sich aber an den militärischen Souveränitäten kaum etwas geändert. Einzig Deutschland und Österreich waren mit Restriktionen belegt, wie sie für unterlegene Staaten in aller Geschichte typisch waren, aber dann ebenso typisch nach und nach entfallen, weil jedes Diskriminierungssystem so völkerrechtswidrig ist wie jedes Privilegiensystem.

Allein darum konnte sich Deutschland remilitarisieren und wurde mit dem NS zum Revanche- und Hegemonial-Aggressoren.

Dann war Krieg - ob nun für Pazifisten oder für Hardliner, ziemlich gleich, denn die Gesinnungen, Reden, auch die Verträge hindern ja nicht, was nur in tatsächliche Macht umgesetzte Prinzipien hätten hindern können.

Der 2.Weltkrieg war keine "Wasserscheide für jeden Pazifismus", denn was würde auch "jeder Pazifismus" für einen Sinn machen, wenn nicht mindestens zwei Varianten zu unterscheiden wären? Und der verteidigende Pazifismus rief so sehr gegen den Faschismus zu den Waffen wie jede andere antifaschistische Macht auch.

Aber ein Unterschied war und bleibt allerdings: Rechtsnotstände, Notwehr, Nothilfe berechtigen nur denjenigen und in dem Umfang zur Selbstjustiz, wie sie nicht eigen- und mitverschuldet sind.

Überhaupt unstreitig: Jeder Staat durften gegen NS-Deutschland den Befreiungskrieg führen, aber sie hatten in höchst unterschiedlichem Maße Legitimation dazu - je danach, wie pazifistisch ihre vorherige Politik war.

lb. Grüße von Sven

 

BeitragVerfasst von Martin am: 30.06.2005 19:21 
Titel: Weltkrieg und Pazifismus
Antworten mit Zitat 

Hi Sven,

Zitat:
1. reduziert solche These den Pazifismus auf eine verteidigungslose Variante


Geschenkt. Wenn man unter 'Pazifismus' eine auf internationalem Konsens beruhende, institutionell fundierte Einhegung militärischer Gewalt verstehen möchte (und nicht mehr die fundamentale Ablehnung jeder Form von militärischer Gewalt), dann verändern sich natürlich die Koordinaten der Argumentation.

Zitat:
2. beruht der innere Frieden in den vernünftigeren Staaten auf Demokratie + allgemein verbindlichem Recht + Gewaltmonopol in systematischer Zuständigkeitsteilung und gegenseitiger Kontrolle


Wenn diese Rahmenbedingungen auf internationaler, zwischenstaatlicher Ebene aber schlechterdings nicht vorhanden sind und eine nationalideologische Legitimationsbasis den Rahmen von Politik bildet (wie es in der ersten Hälfte des 20. Jh. nun einmal der Fall war), dann wird eine solche Argumentation zur kontrafaktischen Spekulation, zur Geschichte im Konjunktiv:

Zitat:
Der 2. Weltkrieg wäre zu vermeiden gewesen, hätten sich nach dem 1. Weltkrieg die wichtigsten und immerhin demokratischen Staaten auf ein System verständigt...


Gegen ein Deutschland, in dem ein zunehmend völkisch radikalisierter Nationalismus grassierte? In dem Revisionismus beinahe gesamtgesellschaftlicher Konsens war? In dem die demokratischen Kräfte gegenüber den totalitären viel zu schwach geblieben sind?
Versailles hat die Deutschen gegen den Westen zusammengeschweißt, je härter die Restriktion, desto härter der Widerstand. Welche Lehre wäre aus dieser Dialektik zu ziehen, nachdem dann auch noch Appeasement scheiterte?
Der Rekurs auf zeitgenössische internationale Institutionen wie den Völkerbund unterschätzt doch Hitlers Willen zum Krieg, unterschätzt die Kontinuitäten nationalistischer Mentalitäten und überschätzt nicht zuletzt die Perspektive der Zeitgenossen, in deren Erwartungshorizont ein militärisches Wahnsinnsunternehmen die der NS-Eroberungskrieg schlechterdings nicht vorhanden gewesen sein dürfte.

Zitat:
Dann war Krieg - ob nun für Pazifisten oder für Hardliner, ziemlich gleich, denn die Gesinnungen, Reden, auch die Verträge hindern ja nicht, was nur in tatsächliche Macht umgesetzte Prinzipien hätten hindern können.


Ja, aber was für ein gigantischer Widerspruch, ein System der Aufgabe nationaler militärischer Souveränität am Ende doch wieder gründen zu müssen auf militärische Macht. Woraus soll sich die Verbindlichkeit internationaler Rechtsnormen denn speisen, wenn Nationalstaaten nicht von innen heraus zur Aufgabe von Souveränität bereit sind?
Ich weiß nicht, welcher Weg aus diesem Dilemma führen soll: Die hegemoniale Dynamik von einem Imperium wie den USA einbinden in ein System, das zugleich auf die Führungsrolle desselben angewiesen ist.

Zitat:
Aber ein Unterschied war und bleibt allerdings: Rechtsnotstände, Notwehr, Nothilfe berechtigen nur denjenigen und in dem Umfang zur Selbstjustiz, wie sie nicht eigen- und mitverschuldet sind.


Wollte man dieses Prinzip konsequent anwenden, würde sich vor dem Hintergrund der kolonialen Vergangenheit Europas jede Form des Interventionismus von vorne herein erledigen.

LG Martin

 

BeitragVerfasst von Sven am: 01.07.2005 12:02 Titel: Pazifismus Antworten mit Zitat 

Sven hat folgendes geschrieben::
1. reduziert solche These den Pazifismus auf eine verteidigungslose Variante

Martin hat folgendes geschrieben::
Geschenkt. Wenn man unter 'Pazifismus' eine auf internationalem Konsens beruhende, institutionell fundierte Einhegung militärischer Gewalt verstehen möchte (und nicht mehr die fundamentale Ablehnung jeder Form von militärischer Gewalt), dann verändern sich natürlich die Koordinaten der Argumentation.

Liebster Martin,

"geschenkt" ist so schön, aber doch nicht immer, zumal das Geschenkte schon dem anderen gehört. Und so ist es mit dem Pazifisten, dessen Einsicht gerade nicht die rechtsstaatliche Polizei im Land ablehnt, sondern solche Rechtlichkeit auf die internationalen Beziehungen ausdehnt.

Der die Pazifismus-Diskussion beeinflussende und gewaltlose Jesus-Pazifismus und neuzeitliche Gandhi-Pazifismus hat seine Berechtigung in allen Situationen vollkommener Aussichtslosigkeit von gewaltsamer Verteidigung aus Gründen totaler Unterlegenheit.

Aber dieser gewaltlose Pazifismus ist kaum mehr als die Erklärung einer Not zur Tugend, allenfalls ideologischer Pragmatismus und kein wirklich aktiver Pazifismus, denn er duldet und verlässt sich darauf, dass sich die Thyrannis aus ihren Herkünften selbst abschafft.

Jesus gelang das nicht, während es Gandhi gelang. So unterschiedlich war das Schicksal solch fatalistischen Pazifismus.

Sven hat folgendes geschrieben::
2. beruht der innere Frieden in den vernünftigeren Staaten auf Demokratie + allgemein verbindlichem Recht + Gewaltmonopol in systematischer Zuständigkeitsteilung und gegenseitiger Kontrolle

Martin hat folgendes geschrieben::
Wenn diese Rahmenbedingungen auf internationaler, zwischenstaatlicher Ebene aber schlechterdings nicht vorhanden sind und eine nationalideologische Legitimationsbasis den Rahmen von Politik bildet (wie es in der ersten Hälfte des 20. Jh. nun einmal der Fall war), dann wird eine solche Argumentation zur kontrafaktischen Spekulation, zur Geschichte im Konjunktiv: ...

Exakt so ist es, denn jedes moralische Urteil über Historisches setzt unweigerlich einen alternativ möglichen und gesollten Geschichtsverlauf voraus.

Und keine Rahmenbedingungen waren nur "schlechterdings nicht vorhanden", sondern aus Gründen nicht vorhanden, weil Politik die Schaffung versäumte.

So wenig die Gegenwart von Verantwortung frei ist, so wenig ist es die Vergangenheit.
Bezogen auf die Ausgestaltung einer internationalen Friedensordnung waren die Staaten/Politiker damals so nachlässig wie heute und setzten nicht auf die Errichtung eines Gewaltmonopols über die Souveränität der Staaten hinweg.

Und hier meine "Spekulation": In Deutschland hätten nach dem 1. Weltkrieg die Remilitarisierer keine Chance gehabt, wenn die Siegermächte für ihre eigenen und alle Potentiale von der nationalstaatlichen Militärsouveränität zugunsten des Völkerbundes verzichtet hätten:

"Kein Staat darf jemals die Kräfte haben, mit denen er Kriege führen oder sich gegen andere Staaten verteidigen kann, denn die Sicherheit jedes einzelnen Staates kann nur als Sache des Völkerbundes gelingen, weil kein Staat in der Lage wäre, sich allein gegen eine feindliche Allianz zu behaupten, ohne selbst zur Gefahr für andere Staaten zu werden."

Diese Logik wurde sicherlich von vielen Leuten geahnt, gedacht, aber die Politik anhaltend national eifernder oder einfach nur desinteressierter Politiker vermochte daraus keine Konsequenzen zu ziehen.

Sven hat folgendes geschrieben::
Der 2. Weltkrieg wäre zu vermeiden gewesen, hätten sich nach dem 1. Weltkrieg die wichtigsten und immerhin demokratischen Staaten auf ein System verständigt...

Martin hat folgendes geschrieben::
Gegen ein Deutschland, in dem ein zunehmend völkisch radikalisierter Nationalismus grassierte? In dem Revisionismus beinahe gesamtgesellschaftlicher Konsens war? In dem die demokratischen Kräfte gegenüber den totalitären viel zu schwach geblieben sind?

So lernten wir es, aber das sehe ich teilweise anders. Grob skizziert:

Der für deine These in Betracht zu ziehende Konsens gegenüber Frankreich und Belgien war keineswegs ungeteilt, sondern zumindest in nationalistische, (sowjet-)sozialistische und bürgerliche Lager gespalten - mit jeweiligen Schnittmengen als auch Antagonismen. Soweit die innenpolitische Betrachtung.

Aber über die Innenpolitik hinaus vollzog das bürgerliche Lager der Weimarer Republik weitgehend im Konsens mit der westlichen Welt die nationale Aufrüstung aus Motivation des schon damals virulenten Ost-West-Konflikts.
So erlangten die bürgerlichen Kräfte für Deutschland die Entlastung von Reparationen, die Lockerung von Rüstungsbeschränkungen und machten Deutschland für den Völkerbund salonfähig.

Die bürgerliche Politik bereitete m.E. weitgehend unwillentlich dem späteren Nazi-Regime ein wiedererstarktes Deutschland, denn das ist die Krux aller Demokratien, die sich nicht gegen Diktaturen zu sichern verstehen, dass ihre Mittel in die Hände der Diktatur fallen.

Martin hat folgendes geschrieben::
Versailles hat die Deutschen gegen den Westen zusammengeschweißt, je härter die Restriktion, desto härter der Widerstand. Welche Lehre wäre aus dieser Dialektik zu ziehen, nachdem dann auch noch Appeasement scheiterte?

Wie verschieden Versailles und Appeasement sind, lässt sich daran erkennen, wie oft in der Geschichte das eine ohne das andere stattfand.

Deshalb zunächst Versailles: Vieles an diesem Friedensschluss war falsch und ein Grund unter mehreren dafür, dass sich die USA aus ihren Völkerbundplänen verabschiedeten. >> Dem Völkerbund fehlte die wichtigste Macht.

"Je härter die Restriktionen", desto geschlossener war nicht nur der Widerstand in Deutschland, sondern energischer auch die Kritik seitens der USA, Großbritanniens und der Niederlande an der Politik Frankreichs und Belgiens.

Die "Dialektik von Restriktion und Widerstand" war also mitnichten nur eine "Dialektik", sondern eine äußerst umstrittene Politik zweier
Siegermächte, die immerhin auch durch diplomatische Interventionen bekehrt werden mussten und wurden.

Sicherlich war zwar die innenpolitische Entwicklung der Weimarer Republik von enormen Nationalismen geprägt, denn Versailles war nicht leicht zu verdauen, aber das brachte Hitler nicht an die Macht, sondern das jahrelange Versagen bürgerlicher Politik, die lieber mit präsidialen Notverordnungen regierte anstatt die Macht demokratisch zu teilen, wenn es zu alleiniger nicht reicht - und dann noch unter die Räder der Weltwirtschaftskrise kam, die den Extremisten aller Seiten Auftrieb verschaffte, so auch den Nationalsozialisten.

Meine Dauerthese in Bezug auf den NS-Machterlangung lautet:

"Die Deutschen wählten Hitler nicht wegen seiner Diktatur- und Welteroberungspläne, sondern aus Unmut über das anhaltende Versagen der Demokraten."

So sehr die Nazis von den Schwächen der Weimarer Republik, aber auch den Erfolgen bürgerlicher Außenpolitik profitierten, so sehr ist von dieser Phase die Zeit nach 1933 unterscheidbar: zunächst als schwunghafte Aufrüstung zur Kriegsvorbereitung, dann ab März 1936 mit der ersten militärischen Aktion (Rheinland) und dem Krieg gegen die spanische Republik.
Die späteren Anti-Hitler-Alliierten sahen zu, denn Hilter entsorgte eine Republik mit rötlichem Image. - Das hatte nichts mit Appeasement zu tun.

Es folgte die Einverleibung Österreichs. Da mag Appeasement eine Rolle gespielt haben, aber spätestens das, was Chamberlain der teilweise naiv jubelnden Welt als Appeasement verkaufte, war kein Appeasement mehr, sondern Nachgiebigkeit, genauer noch: der Verrat an einem souveränen Staat Europas an Hitler.

Churchill sah das. Wohl jeder verstand es irgendwann. Die Entscheider verstanden es insgesamt zu spät. Darum wollte Churchill Zugehen auf Stalin, ehe sich Pack mit Pack vereinigt, denn Deutschland war schon wieder nicht mehr so einfach mit allein westeuropäischen Mitteln zu schlagen und die USA wollten von Europa nichts wissen, hatten für ihre Interessen andere Räume.

Martin hat folgendes geschrieben::
Der Rekurs auf zeitgenössische internationale Institutionen wie den Völkerbund unterschätzt doch Hitlers Willen zum Krieg, unterschätzt die Kontinuitäten nationalistischer Mentalitäten und überschätzt nicht zuletzt die Perspektive der Zeitgenossen, in deren Erwartungshorizont ein militärisches Wahnsinnsunternehmen die der NS-Eroberungskrieg schlechterdings nicht vorhanden gewesen sein dürfte.

Wenn es nach dem Willen von Leuten wie Hitler ginge, so hätten wir jeden Tag Weltuntergang und gleich darauf wieder Sonnenschein.

Nein, den Willen zum Krieg unterschätze ich bei Extremisten überhaupt nie, zumal er mir schon bei Nichtextremisten geläufig ist.
Auch nationalistische Kontinuitäten unterschätze ich nicht und daraus ist ein Motiv für meine politischen Überlegungen.

Der Rekurs auf den Völkerbund macht Sinn, weil sich damalige Fehler mit der UNO wiederholen:

1. Mitgliedschaftlichkeit und Privilegien, Ausschluss von Mitgliedern und Abbruch diplomatischer Beziehungen - anstelle eines global gleichberechtigenden Repräsentativsystems,

2. das Heil in der Erhaltung nationaler Rüstungspotenzen suchend, die privilegierend, also auch diskriminierend waren/sind (damals Größe von Waffen, heute Atomwaffen), während die Errichtung eines globalen Gewaltmonopols zur Enwaffnung jedes Staates hätte führen können.

Wen wundert, dass Despoten ihre Waffen nicht unter gemeinsames Recht stellen wollen? Aber sie hatten im Beharren auf nationale Kriegsfähigkeiten den Bund mit den demokratischen Großmächten.

So konnte sich nichts wandeln, sondern machte den nächsten Krieg möglich.

Sven hat folgendes geschrieben::
Dann war Krieg - ob nun für Pazifisten oder für Hardliner, ziemlich gleich, denn die Gesinnungen, Reden, auch die Verträge hindern ja nicht, was nur in tatsächliche Macht umgesetzte Prinzipien hätten hindern können.

Martin hat folgendes geschrieben::
Ja, aber was für ein gigantischer Widerspruch, ein System der Aufgabe nationaler militärischer Souveränität am Ende doch wieder gründen zu müssen auf militärische Macht.

Der "Widerspruch" ist der des Weltrechts gegen das nationale Recht, mithin kein unauflöslicher Widerspruch, sondern harmonisierbar - und hat vielfaches Vorbild im Werden von Bundesstaaten.

Der "Widerspruch" zwischen Weltrechtlern und und nationalen Weltrechtsverweigerern oder gar Weltrechtsbrechern ist in jedem Gemeinwesen minorkosmisch vorrätig, sobald es demokratisch "rechtsfreie Räume" schließt oder wenn polizeiliche Gewalt krimineller Gewalt begegnet.

Die in deiner Anschauung sich "widersprechenden" Gewalten sind immerhin wesensverschieden in ihrer Begründung und ihren Zielen - durch allgemeinverbindliches Recht und somit auch in ihrem Wirken.

Martin hat folgendes geschrieben::
Woraus soll sich die Verbindlichkeit internationaler Rechtsnormen denn speisen, wenn Nationalstaaten nicht von innen heraus zur Aufgabe von Souveränität bereit sind?

Wir reden hier im Moment von Krieg und Frieden zwischen den Staaten, also wären die Interessen eines Staates durch die Interessen anderer Staaten überstimmbar zu machen, weil es keinem Staat gestattet sein kann, zur Gefahr für andere zu werden.

Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, woran wir gewöhnt sind, weil es aber die Kriege nicht hinderte:

So ist auch der "Präventivkrieg" ein ambivalentes Ding und sollte im System bisheriger nationalstaatlicher Militär-Souveränität verboten bleiben. Das ist der Fall nach herrschender Meinung der Völkerrechtler und Staaten.

Der Präventivkrieg wäre m.E. jedoch zulässig in Folge von UNO-Mehrheitsentscheiden, wenn ein Staat sich einer weltrechtsförmigen Entschließung verweigert >> z.B. "Kein Staat der Welt hat ein Recht auf die Entwicklung oder Vorhaltung von Atomwaffen". Dann hätte sich auch jeder Staat daran zu halten und müsste weigerungsfalls militärisch gezwungen werden: a) wenn das Ziel nicht anders erreicht werden kann, b) wenn es die Durchsetzungsmittel unter Berücksichtigung und Abwägung aller schutzwürdigen Interessen zulassen (Verhältnismäßigkeit).

Martin hat folgendes geschrieben::
Ich weiß nicht, welcher Weg aus diesem Dilemma führen soll: Die hegemoniale Dynamik von einem Imperium wie den USA einbinden in ein System, das zugleich auf die Führungsrolle desselben angewiesen ist.

Die Frage ist, wofür man die USA hält: für einen globalen Hegemon oder für einen zivilisierten Staat, der seine militärische Macht einem über die USA hinaus verallgemeinerbarem Recht verpflichtet sehen will?

Beide Tendenzen gibt es in den USA. Die einen aus egoistischem Intellekt nach dem Schema: "Wir dürfen Ressourcen verbrauchen, weil wir sie kaufen können - und so viel wir wollen."

Andere handeln nationalistisch aus einem Fatalismus, dass keine Hoffnung auf eine Weltdemokratie bestehe.

Viele aber sehen sehr wohl die USA in der Pflicht, dass ihre Gewaltpotentiale nicht das Weltrecht herstellen dürfen, sondern nur, wenn diese Gewaltpotentiale auch einem Weltrecht verpflichtet sind, das seine Entstehung auf Weltdemokratie gründet.

Die Demokratisierung war stets ein Ringen der Demokraten danach und schlummerte nicht Träume, dass erst alle Menschen einschließlich der Despoten und Verbrecher zu Demokraten mutiert sein müssten.

Sodann fragt sich, ob sich aus der Tatsache, dass die USA die militärische Supermacht sind, zugleich ihre Führungsrolle ableitbar ist:

Rolle und Talent sind zweierlei. Daraus ist nicht nur die Theaterkritik. Und der Rolle als Weltpolizist kann kein Staat der Welt genügen, wie stark auch immer er ist, denn solange die Welt den US-Präsidenten nicht mitwählen kann, fehlt es ihm an Legitimation Weltführer zu sein.

Sven hat folgendes geschrieben::
Aber ein Unterschied war und bleibt allerdings: Rechtsnotstände, Notwehr, Nothilfe berechtigen nur denjenigen und in dem Umfang zur Selbstjustiz, wie sie nicht eigen- und mitverschuldet sind.

Martin hat folgendes geschrieben::
Wollte man dieses Prinzip konsequent anwenden, würde sich vor dem Hintergrund der kolonialen Vergangenheit Europas jede Form des Interventionismus von vorne herein erledigen.

So ungnädig ist die Geschichte nicht, dass die Menschheit aus Erbsünden heraus dem Schlechten mehr verpflichtet wäre als dem Guten:

Wer sich auf Rechtsnotstände ("UNO ist unfähig") beruft, müsste sich spätestens nach dieser Erkenntnis an die Arbeit machen, diesen Mangel zu beheben. Das jedoch lese ich der US-Politik nicht ab, sondern kritisiere ihre Verweigerungspolitik (bspw. Nichtanerkennung des IStGH), die sie mit anderen Großmächten (Russland, China, ...) und vielen Schurkenstaaten gemeinsam betreibt.

Immerhin gibt es starke Tendenzen in meine Forderungsrichtung, sonst wäre bspw. der Internationale Strafgerichtshof gar nicht erst entstanden. Aber auch diese konstruktiven Kräfte wirken noch immer widersprüchlich, wie sich am Wunsch Deutschlands erkennen lässt, dass sie in den Reigen der UN-Privilegierten aufgenommen werden möchten anstatt die Abschaffung des Privilegiensystems zu verlangen.

Nicht meine Argumentation ist widersprüchlich, sondern die Politik derer, die eine undemokratische und schwache UNO beklagen und nichts daran ändern.

./.

Du setzt den Pazifismus möglicherweise mit der Friedensliebe und der Kriegsdienstverweigerung gleich. Aber wir werden uns darin einig sein, dass Friedensliebe und Kriegsdienstverweigerung unterscheidbare Dinge sind:
1. Die Friedensliebe zwar schön, aber frommer Wunsch, mal mehr, mal weniger verbreitet, aber für die Kriegstreiber oft zu überwinden.
Obendrein ist die Friedensliebe nicht nur ein Ding von Pazifisten, sondern möglicherweise auch von übelsten Diktatoren, die ihren "Frieden" per Krieg zu verallgemeinern versuchen.
Der Pazifismus hat mit der Friedensliebe gerade mal so viel zu tun wie die Schulpflicht mit der Liebe zu Kindern = das eine kann ohne das andere sein.

2. Die Kriegsdienstverweigerung sollte tatsächlich weltweit anerkanntes und durchsetzbares Menschenrecht sein, aber sie hat mit dem Pazifismus nur wenig zu tun, denn der Einzelne kann sich zwar der Tötungshandeln entziehen, aber er entzieht damit nicht dem Krieg seine Existenzgrundlage. Heute weniger denn je, denn der Knopfdruck weniger Idioten genügt zum Mord an Millionen Menschen.
Der Pazifismus hat mit der Kriegsdienstverweigerung gerade mal so viel zu tun wie die Schulpflicht mit der Schulschwänzerei, die immerhin zurecht ab einem bestimmten Alter zulässig ist = das eine kann ohne das andere sein.

Es herrscht ein tiefgreifendes Missverständnis, wenn der Pazifismus für etwas ungreifbarer gehalten würde als etwa die Demokratie, die Freiheit, die Gleichheit und anderes. 

Pazifismus ist das Streben nach Strukturen, die militärische Gewalt ihrer nationalstaatlichen Konkurrenz entziehen, indem sie einem gemeinsamen Weltrecht unterworfen wird.

lb. Grüße von Sven

  DISKUSSION

 Pazifismus   Dialog-Lexikon